OGH 7Ob32/22i – Architekten- Planungs- Bauaufsichts- und Baukoordinationskosten finden in der Feuerversicherungssumme Deckung

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Geschäftszahl

7Ob32/22i

Entscheidungsdatum

29.06.2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé  als Vorsitzende und die Hofrätin und   die   Hofräte   Mag. Dr. Wurdinger,   Mag. Malesich, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache  der  klagenden   Partei   Dr. Wolfgang   Heschl, 8521 Wettmannstätten 106, vertreten durch Mag. Markus Passer, Rechtsanwalt in Graz, und dessen Nebenintervenientin Matusch, Pieringer & Partner  GmbH,  8010 Graz, Harrachgasse 26, vertreten durch die ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz,  gegen  die  beklagte  Partei Zürich    Versicherungs- Akiengesellschaft,    1010 Wien, Schwarzenbergplatz 15, vertreten durch  Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 180.000 EUR und Feststellung, über die Revision der klagenden  Partei  gegen  das  Endurteil des   Oberlandesgerichts   Wien    als    Berufungsgericht    vom 7. Jänner 2022, GZ 33 R 110/21w-21, womit das Teil- und Zwischenurteil        des        Handelsgerichts        Wien        vom 19. September 2021, GZ 62 Cg 49/21z-14, abgeändert wurde, den Beschluss gefasst:

 

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung des Feststellungsbegehrens mangels Anfechtung in Rechtskraft erwuchsen, werden im darüber hinausgehenden    Umfang    einschließlich    der Kostenentscheidungen aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Der    Kläger    und    die    Beklagte    schlossen   über Vermittlung        der     Nebenintervenientin    einen Betriebsversicherungsvertrag,     dem      unter     anderem     die
„Allgemeinen Zürich Bedingungen für die Feuerversicherung“ (AFB 2002) zugrunde liegen, die auszugsweise wie  folgt lauten:
„Artikel 6 Versicherungswert […]
1.1.1. der Neuwert.
Als Neuwert eines Gebäudes gelten die ortsüblichen Kosten seiner Neuherstellung einschließlich der Planungs- und Konstruktionskosten.
[…]
Artikel 9
Zahlung der Entschädigung: Wiederherstellung, Wiederbeschaffung; Realgläubiger
1.    Der    Versicherungsnehmer    hat     vorerst    nur
 
Anspruch:
 1.1.    Bei Gebäuden
1.1.1.    bei Zerstörung auf Ersatz des Zeitwertes, höchstens jedoch des Verkehrswertes.
[…]
2.    Den Anspruch auf den  die  Zahlung  gemäß Punkt 1. übersteigenden Teil der Entschädigung erwirbt der Versicherungsnehmer erst dann  und  nur  insoweit,  als folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
2.1 es ist gesichert, dass die Entschädigung zur Gänze zur Wiederherstellung bzw. Wiederbeschaffung verwendet wird
[…]
2.4. die    Wiederherstellung    bzw. Wiederbeschaffung erfolgt innerhalb von drei Jahren ab dem Eintritt des Schadenereignisses. “
[ 2 ]        Am    8.  September  2019    schlug    ein    Blitz im versicherten Gebäude ein und verursachte einen  Brand, der es in einem nicht  feststellbaren  Ausmaß  beschädigte.  Die  Gobli GmbH    (in    der    Folge    GmbH)     legte    dem    Kläger    am 22. Juni 2021   ein   Angebot   für    die Generalsanierung des Brandschadens am versicherten     Gebäude                  einschließlich              Architekten-,     Planungs-,    Baukoordinations-    und Bauaufsichtskosten (in  der Folge „Architektenkosten“).
[ 3 ]        Der Kläger begehrt Zahlung von 180.000 EUR an notwendigen Architektenkosten sowie die Feststellung der Deckungspflicht für alle notwendigen Aufräum-, Abbruch-, Feuerlösch-      und      Entsorgungskosten      (in      der      Folge
„Aufräumkosten“) zur Wiederherstellung des versicherten Gebäudes. Die Architektenkosten würden   zum  Neubauwert des Gebäudes gehören und somit in der Versicherungssumme Deckung finden. Die Klausel, wonach solche Leistungen mit 5.790 EUR auf erstes Risiko „zusätzlich mitversichert“ seien, limitiere  den  Versicherungsschutz  nicht,  sondern  erweitere ihn.  Der  Kläger  habe  die  GmbH  entsprechend  dem  Angebot vom 22. Juni 2021 beauftragt.
[ 4 ]        Die Nebenintervenientin schloss sich diesem Vorbringen im Wesentlichen an.
[ 5 ]        Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Die geltend gemachten Architektenkosten seien mit 5.790 EUR begrenzt und im Übrigen überhöht. Außerdem sei  das  Leistungsbegehren  aufgrund  der vereinbarten strengen Wiederherstellungsklausel (noch) nicht berechtigt, weil der Kläger die geltend gemachten Leistungen weder in Auftrag gegeben noch bezahlt habe.
[ 6 ]        Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte dem Grunde nach zur Zahlung von 180.000 EUR an notwendigen Architektenkosten, während es das Feststellungsbegehren abwies. Der Neuwert des Gebäudes umfasse bedingungsgemäß die ortsüblichen Kosten der Neuherstellung „samt  Planungs- und Konstruktionskosten“. Die Auslegung entsprechend dem Leitbild des durchschnittlich verständigen Versicherungs- nehmers ergebe, dass die Architekten kosten einerseits in der allgemeinen Versicherungssumme Deckung fänden  und  dass für diese andererseits eine weitere Summe von 5.790 EUR zur Verfügung stehe. Da die Angemessenheit des vom Kläger gelegten Kostenvoranschlags derzeit noch nicht beurteilt werden könne, sei die Klagsforderung der Höhe nach  noch nicht spruchreif. Das  Feststellungsbegehren  sei  hingegen nicht berechtigt.
[ 7 ]        Das Berufungsgericht änderte über die Berufung der Beklagten das angefochtene Zwischenurteil ab und stellte insoweit als Endurteil fest, dass die Beklagte dem Kläger Deckung für die notwendigen Architektenkosten zur Wiederherstellung des Risikoortes zu gewähren  habe,  sobald die   Wiederherstellungskosten   tatsächlich   entstanden   seien oder zumindest gesichert sei,  dass  die  Entschädigung  zur Gänze zur Wiederherstellung des Gebäudes verwendet werde, und unter der Voraussetzung, dass die Wiederherstellung innerhalb von drei Jahren ab dem Eintritt des Schadensereignisses erfolge, wobei die Deckungspflicht der Höhe nach mit 1.265.900 EUR (Versicherungssumme) zuzüglich 5.790 EUR (Erweiterung der Versicherungssumme für „Architekten- und Ingenieurgebühren, sowie Kosten der Bauaufsicht und Baukoordination“) beschränkt sei. Das Mehrbegehren auf Zahlung wies es ab.
[ 8 ]        Die Beklagte bestreite die (zutreffende) Vertragsauslegung des Erstgerichts in Bezug auf die Architektenkosten in der Berufung nicht, wende aber richtigerweise ein, dass aufgrund der strengen Wiederherstellungsklausel  mit  dem   Versicherungsfall zunächst nur ein Anspruch auf den Zeitwert entstehe. Der Restanspruch auf den Neuwert  hänge  von  der Wiederherstellung oder  deren  fristgerechter  Sicherung  ab. Eine Zeitwert- oder Verkehrswertentschädigung habe der Kläger aber nicht angesprochen, sondern ausschließlich eine Neuwertentschädigung geltend gemacht. Er habe dazu aber lediglich Kostenvoranschläge  eingeholt  und vorgelegt. Damit sei die Wiederherstellung noch nicht  ausreichend  gesichert. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Versicherungsleistung bestehe daher  derzeit  schon  dem Grunde nach nicht, sodass das Leistungsbegehren abzuweisen sei. Allerdings könne die Feststellung der Versicherungsdeckung als minus zugesprochen werden.
[ 9 ]        Dagegen wendet sich die Revision des  Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern,    dass     seinem     Begehren     auf    Zahlung    von  180.000 EUR stattgegeben wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[ 10 ]        Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[ 11 ]        Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch im Sinn  des  Aufhebungsantrags berechtigt.
[ 12 ]        1. Die behauptete Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[ 13 ]        2. Das Auslegungsergebnis des     Erstgerichts, wonach die vom Kläger geltend gemachten    Kosten   für Architekten-,    Planungs-,         Bauaufsichts-        und Baukoordinationsleistungen    (in    der    Folge Architektenleistungen) einerseits in der allgemeinen Versicherungssumme Deckung fänden und dass für diese andererseits eine weitere Summe von 5.790 EUR zur Verfügung stehe, hat die Beklagte im Rahmen ihrer Berufung nicht in Zweifel gezogen, sodass auf diese selbständig zu beurteilende Rechtsfrage nicht mehr einzugehen ist (RS0043352 [T27, T33]).
[ 14 ]    3. Art 9.2    AFB 2002    enthält    eine    sogenannte
„strenge Wiederherstellungsklausel“. Ihr Zweck ist die Begrenzung des subjektiven Risikos, das entstünde, wenn der Versicherungsnehmer die Entschädigungssumme für frei bestimmbare Zwecke verwenden könnte  ( RS0120711  [T2, T4]). Die strenge Wiederherstellungsklausel stellt eine Risikobegrenzung dar ( RS0081840) und bedeutet, dass zunächst im Versicherungsfall nur ein Anspruch auf den Zeitwert entsteht  und der Restanspruch auf den  Neuwert  von der  Wiederherstellung  oder  deren  (fristgerechter)  Sicherung abhängt (RS0120710). Grundsätzlich kann eine 100%-ige Sicherheit nicht verlangt werden, sondern es muss ausreichen, wenn angesichts der getroffenen Vorkehrungen keine vernünftigen Zweifel an der Durchführung der Wiederherstellung bestehen ( RS0112327; RS0119959). Wann die Verwendung gesichert ist, ist nach Treu und Glauben zu entscheiden (RS0081868) und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab ( RS0119959). Die Vorlage von Kostenvoranschlägen,    Absichtserklärungen    des Versicherungsnehmers, die bloße Planung, eine behelfsmäßige Reparatur oder ein noch  nicht  angenommenes  Angebot  sind für die Sicherung der Wiederherstellung nicht ausreichend (RS0112327 [T5]).
[ 15 ]            4.1.   Der     Kläger    brachte   im   erstinstanzlichen Verfahren  vor,  er  habe  die  GmbH entsprechend dem Angebot vom 22. Juni 2021   beauftragt.  Dieses  Angebot  umfasst   die Generalsanierung      des     Brandschadens     am      versicherten Gebäude,   sodass   der Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten in der  Revisionsbeantwortung ausreichend deutlich behauptet hat, er  habe die Wiederherstellung des versicherten Gebäudes   (einschließlich der Architektenkosten)  beauftragt. Die   Beklagte  bestritt  auch   die   Beauftragung   entsprechend diesem Angebot. Das Erstgericht traf aufgrund seiner unrichtigen  Rechtsansicht  jedoch  keine  Feststellungen  zur hier rechtserheblichen Frage, ob der Kläger die Durchführung der    Sanierungsarbeiten    (einschließlich    der Architektenleistungen) verbindlich beauftragt hat  und  damit die Wiederherstellung gesichert ist.
[ 16 ]        4.2. Die Feststellungsgrundlage ist mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen  der  Parteien  und  den  Ergebnissen  des  Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317). Es liegt daher ein sekundärer Feststellungsmangel vor, der zur Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen im Umfang des Zahlungsbegehrens zu führen hat. Von der Aufhebung ist auch das vom Berufungsgericht als minus zuerkannte Feststellungsbegehren umfasst, weil es hier wegen des Prinzips der Subsidiarität des Feststellungsbegehrens  gegenüber  dem   Leistungsbegehren (vgl RS0038817 [T1, T15]) in  untrennbarem  Zusammenhang mit dem Zahlungsbegehren steht und daher nicht in Teilrechtskraft erwachsen konnte (vgl RS0007269). Die Abweisung      des      Feststellungsbegehrens      bezüglich      der
„Aufräumkosten“ ist hingegen  als  solcher  quantitativ trennbarer Teil in Rechtskraft erwachsen.
[ 17 ]        5. Der   Kostenvorbehalt   beruht   auf   § 52   Abs 1 ZPO.